
Es ist wahrscheinlich das berühmteste Weihnachtslied und vielleicht sogar die Melodie mit dem höchsten Wiedererkennungswert überhaupt. «Stille Nacht! Heilige Nacht». Vor 200 Jahren erstmals vorgetragen im salzburgischen Oberndorf durch Franz Xaver Gruber, den Komponisten der Melodie, und Josef Mohr, von dem der Text stammt. Es war der 24. Dezember 1818. Seit jener heiligen Nacht ging das Friedenslied um die Welt. Wie «Stille Nacht! Heilige Nacht!» entstanden ist und wie es ohne Radio, Internet und Spotify in kurzer Zeit zu Berühmtheit gekommen ist - die Spurensuche ist spannend und beginnt in Indonesien. Genauer auf der Insel Sumbawa. Dort ist der Vulkan Tambora 1815 so heftig ausgebrochen, dass viel Russ und Asche in die Atmosphäre gelangte. Der Himmel verdunkelte sich auch über Europa und als Folge davon wurde 1816 zum Jahr ohne Sommer. Die Naturkatastrophe geht einher mit politischen Krisen. Nach den Napoleonischen Kriegen waren ganze Landstriche und Täler buchstäblich am Boden zerstört.
Ernteausfälle und Hungersnöte waren die Folge: Vor diesem Hintergrund verfasste der Pfarrer Joseph Mohr 1816 im Salzburger Ort Lungau das Gedicht „Stille Nacht! Heilige Nacht!“. Ein Weihnachts- und Friedensgedicht, das Trost im Elend spenden sollte.
Ob der Vulkanausbruch tatsächlich eine Rolle gespielt hat, ist Spekulation. Bewiesen ist aber, dass Franz Xaver Gruber zu Mohrs Gedicht eine Melodie, eben die Melodie komponiert hat. Belegt im sogenannten «Stille Nacht!-Autographen». Ein 1995 aufgefundenes und vor 1830 verfasstes Papier aus der Feder von Josef Mohr. Es weist den Schriftzug auf "Text von Joseph Mohr mpia Coadjutor 1816, Melodie von Fr: Xav: Gruber». Damit war die Frage nach der Urheberschaft der Komposition wissenschaftlich geklärt. Lange herrschte nämlich Unklarheit darüber, von wem die Melodie zu «Stille Nacht! Heilige Nacht!» stammt. Hartnäckig hielt sich bis zum Fund des Papiers der Verdacht, der Bruder von Josef Haydn, Michael Haydn, sei der Komponist.
Welthit by Zufall

Warum aber ist Mohrs Gedicht überhaupt zu einem Lied geworden? Dank Zufall. Er führte die beiden Urheber aus beruflichen Gründen im salzburgischen Oberndorf an der Salzach zusammen. Mohr wirkte dort als Hilfspfarrer. Gruber, der Lehrer war im benachbarten Arnsdorf, als Kirchenorganist. Weil die Orgel in der Kirche defekt war, an Weihnachten aber trotzdem musiziert werden sollte, trat Mohr mit der Bitte um eine Melodie für sein Gedicht an seinen Freund Gruber. Die Melodie sollte zweistimmig gesungen und mit Gitarre begleitet werden können, Mohr spielte dieses Instrument leidenschaftlich. Gruber ging auf Mohrs Bitte ein und so entstand das berühmteste aller Weihnachtslieder, das von den beiden Urhebern am 24. Dezember 2018 in der Pfarrkirche St. Nikola in Oberndorf der Öffentlichkeit erstmals vorgetragen worden ist.
«Oesch’s die Dritten» aus dem Zillertal
Bleibt die Frage, wie denn nun «Stille Nacht! Heilige Nacht!» den Weg von Oberndorf hinaus in die weite Welt gefunden hat. Nun, zuerst durch den Orgelbauer Carl Mauracher aus Fügen. Er erhält den Auftrag, die Orgel in der Kirche von Oberndorf zu reparieren. Dabei lernt er das Lied «Stille Nacht!» kennen und nimmt es mit in seine Heimat im Tiroler Zillertal. Die Zillertaler waren damals wie heute musikalische Leute. Sie sangen zum Beispiel, um sich ein Zubrot zu ihrem Handwerk zu verdienen auf Märkten oder um Leute an ihren Verkaufsstand anzulocken. Am erfolgreichsten darin waren die Tiroler Familien Rainer aus Fügen und Strasser aus Hippach. Sie entdeckten die Musik früh als lukrativen Wirtschaftsfaktor. Und: Sie nahmen «Stille Nacht!» in ihr Repertoire auf. Die Rainer-Familie war es, die 1822 vom Grafen Dönhoff eine Einladung auf dessen Schloss in Fügen erhielt, um dort seine hohen Gäste Kaiser Franz I von Österreich und Zar Alexander I von Russland musikalisch zu unterhalten. Der Zar war derart begeistert, dass er die Rainer-Familie spontan zu sich an seinen Hof nach St. Petersburg einlud. Daraufhin folgten Konzerttourneen durch Deutschland, Schweden und England.
Auch die Geschwister Strasser vermochten die Menschen mit ihren musikalischen Darbietungen aus der Heimat zu entzücken. 1831 sang die Bauernfamilie aus dem Zillertal «Stille Nacht! Heilige Nacht!» am Weihnachtsmarkt in Leipzig und 1834/1835 beeindruckte sie in Berlin den preussischen König Friedrich Wilhelm mit dem Friedenslied (siehe auch Kastentext). 1838 folgte die Aufnahme von «Stille Nacht! Heilige Nacht!» in das Katholische Gesangs- und Gebetsbuch des Königreichs Sachsen. Damit war der Durchbruch geschafft, heute würde man sagen, der Song stürmte unaufhaltsam die Charts, vorerst in Europa.
Ludwig Rainer – ein Frank Sinatra seiner Zeit

Für den Durchbruch in der neuen Welt war die zweite Generation der Rainer-Familie besorgt. Auf ihrer US-Tournee sang die vierköpfige Formation «Stille Nacht! Heilige Nacht!» erstmals 1839 in New York, vermutlich vor der Trinity Church. Beide Zillertaler Family-Bands begründeten mit ihren Auftritten im In- und Ausland die Ära der «Tiroler Nationalsänger». Der Leader der Familie Rainer zweiter Generation, Ludwig Rainer (1821-1833), war mit Abstand der damals berühmteste Botschafter für das Tirol. Ein Frank Sinatra seiner Zeit und einer, der Starkult erreichte. Ludwig Rainer erkannte bald, dass schöne Lieder alleine nicht ausreichen, um erfolgreich zu sein. Speziell in den USA brauchte es Showelemente wie beispielweise sexy Kleidung und natürlich englische Texte. So wurde «Stille Nacht!» zu «Silent Night! Holy Night!». In der 1935 auf Vinyl aufgenommenen Version von Bing Crosby soll es die drittmeist- verkaufte Single aller Zeiten sein.
Die Strasser- und Rainer-Familien von heute heissen Schürzenjäger, Ursprung Buam, Junge Zillertaler oder Zillertaler Mander. Die Aufzählung könnte beliebig verlängert werden. Gemeinsam ist allen die Liebe zur Musik. Und: «Stille Nacht! Heilige Nacht!» gehört einfach zum Repertoire. Zu Weihnachten wird es von rund zwei Milliarden Menschen weltweit gesungen. Auf allen Kontinenten und in mehr als 300 Sprachen.
Österreich feiert das 200-Jahre-Jubiläum von «Stille Nacht! Heilige Nacht!» mit vielen Ausstellungen, Konzerten, Theateraufführungen und weiteren Aktivitäten zum Thema.
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